[Rezension] Das verrückte Tagebuch des Henry Shackleford | James McBride

Sonntag, 11. Oktober 2015


» Seiten: 462
» Verlag: btb
» Ersterscheinung: 21. September 2015
» ISBN: 9783442754892
» Format: Hardcover mit Schutzumschlag
» Preis: [A] 20,60 €   [D] 19,99 €
» Originaltitel: The Good Lord Bird
» Genre: (historischer) Roman

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Mein Lesezeitraum: 29. Sept. - 9. Okt. 2015





Worum Geht’s?
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Der junge Sklave Henry Shackleford wird 1857 in Kansas, im Mittleren Westen, vom berüchtigten und gottestreuen Abolitionisten John Brown im Zuge eines wilden Gefechts aus den Fängen seines Sklavenhalters befreit. John Brown hält den Jungen aber irrtümlicherweise für ein Mädchen und Henry versäumt es im Laufe seines Aufenthalts bei den Sklavenbefreiern, diese Verwechslung richtigzustellen, da ihm auffällt, dass es durchaus von Vorteil sein kann, für ein Mädchen gehalten zu werden ...
 

Der Erste Satz
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Seltene Neger-Unterlagen gefunden
von A. J. Watson
 
Wilmington, Del. (AP), 14. Juni 1966 - Der Brand einer der ältesten Neger-Kirchen der Stadt hat die völlig verrückten Schilderungen eines Sklaven ans Licht gebracht, in denen eine wenig bekannte Zeit der amerikanischen Geschichte im Mittelpunkt steht.
 
 
Meine  Meinung
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Sklavenbefreier auf fanatischer Mission
 
"Verrückt" ist ein gutes Stichwort, mit dem ich beginnen möchte, denn verrückt sind sie wirklich: Henry Shacklefords Tage bei den Abolitionisten. Allen voran John Brown - oder auch: der Alte Mann - ist ein irrer Kauz. Mit seinem Fanatismus, alle Sklaven in die Freiheit führen zu wollen, und seiner fast schon wahnsinnigen Art, immer und überall zu beten oder von Gott zu referieren, ist er mir ganz besonders in Erinnerung geblieben.
Old John Brown brennt für diese eine Sache und nichts und niemand kann sich ihm in den Weg stellen. Deswegen war der Alte Mann auch weitestgehend so gefürchtet: mit seiner zielgerichteten und überzeugten Art hat ihn eine unerschütterliche Aura umgeben.
 
Der Alte Mann klatschte in die Hände und nickte mit dem Kopf.
Was seine Begeisterung für die Freiheit anging, war er nicht zu stoppen.
(S. 235)
 
Und wo ist Henry bei der ganzen Sache? - Während John Brown daran arbeitet, im Namen Gottes, eine "Armee" auf die Beine zu stellen und den ultimativen Sklavenbefreiungs- und Kampfplan auszuhecken, überlegt Henry immer mal wieder, ob und wie er abhauen soll, denn eigentlich ist es ihm als Sklave bei seinem Master ja gar nicht so schlecht gegangen. Zumindest Hungerleiden musste er nicht. Denn seit er ein befreiter Sklave ist, so sagt er selbst, wisse er erst, was richtig-Hunger-haben bedeutet ...
 
Klingt schon alles ein bisschen irrwitzig und zum Schmunzeln, nicht? Nun, das ist es auch. Es fängt ja schon damit an, dass alle Henry für ein Mädchen halten und er deswegen von Zeit zu Zeit in Situationen kommt, die sich als sehr lustig gestalten.
Auch Henrys Spitzname die kleine Zwiebel begleitet uns durchs gesamte Buch, weil ihn fast jeder so nennt, seitdem John Brown ihm (bzw. ihr) diesen Namen gegeben hat.
Die Dümmlichkeit so mancher Charaktere und Old John Browns Wesen sind ebenfalls Dinge, die das Lesevergnügen erheblich vergrößern. - Also, der Spaß kommt hier definitiv nicht zu kurz.
 
"Nun", sagte er, "den Neger gibt es in allen Farben. Dunkel. Schwarz. Schwärzer.
Am schwärzesten. Schwärzer als die Nacht. Schwarz wie die Hölle. Schwarz wie Teer.
Weiß. Hell. Heller. Am hellsten. Heller als Licht. Weiß wie die Sonne. Und fast weiß.
Nimm mich zum Beispiel. Ich habe einen braunen Ton. Du dagegen bist fast weiß
und anmutig, und das ist eine schreckliche Zwickmühle, oder?"
(S. 249)
 
Sehr gut hat mir auch die Atmosphäre, die die Geschichte hervorgerufen hat, gefallen. Ich musste beim Lesen immer an den Wilden Westen aus diesen typisch amerikanischen Filmen denken. - Kopfkino pur!
 
Dass dieses Buch jedoch keine völlig frei erfundene Geschichte ist, sondern es zumindest den gottesfürchtigen Abolitionisten John Brown gegeben hat, wusste ich aber erst, als ich nach dem Beenden des Buches seinen Namen gegoogelt habe. Da hätte ich mir doch gerne noch eine Anmerkung vom Autor gewünscht, wenigstens am Ende eine kurze.
 
Mal ehrlich, alle versklavten Neger waren ganz natürliche Lügner, denn kein
Geknechteter hatte je was davon gehabt, dem Master zu sagen, was er wirklich
dachte. Vieles im Leben eines Farbigen war reines Schauspiel, und die Neger,
die ruhig ihr Holz sägten und die Klappe hielten, lebten am längsten.
(S. 38)
 
Ein wenig anstrengend fand ich die Mundart der meisten Charaktere. Oft wurde einfach das "t" am Ende eines Wortes weggelassen oder zwei Wörter mit "’n" abgekürzt (z. B.: "Du wirs’ dir da keine Sorgen machen müssen ..." und "... war rumgekommen und hatte’n bisschen was gesehen."). Diese Tatsache hat meinen Lesefluss leider negativ beeinflusst, aber ansonsten kann ich nichts nennenswert Negatives über dieses Buch sagen.
 
Ob John Browns Plan, die Sklaven zu befreien, geglückt ist und ob Henry es doch irgendwann geschafft hat, sein wahres Geschlecht zu offenbaren, werde ich jetzt hier nicht vorwegnehmen, aber ich kann euch versichern, dass ihr das Kennenlernen dieser verrückten Charaktere bestimmt nicht bereuen werdet.


Persönliche Bewertung
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Weitere Buchzitate
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 Es war nicht die Sklaverei, die den Wunsch, frei zu sein, in mir weckte. Es war mein Herz. ~ (S. 199)

 Einige Dinge in dieser Welt sollen einfach nicht sein, nicht zu der Zeit, da wir sie wollen, und
das Herz muss sie als Erinnerung in sich halten, als ein Versprechen für die Welt, die kommen
wird. Am Ende findet alles seine Belohnung, doch die Last ist nur schwer zu tragen. ~ (S. 370)

Ein Körper kann nicht aufblühen, wenn sein Besitzer nicht weiß, wer er ist. ~ (S. 382)

Du kannst eine Rolle in deinem Leben spielen, aber deswegen bist du's noch nicht. Du
spielst es nur und bist es nicht wirklich. Ich war vor allem ein Neger, und Neger spielen
auch so schon ihre Rollen, verstecken sich, lächeln. Tun so, als wär ihre Sklaverei in Ordnung,
bis sie frei sind, und dann? Wozu taugt die Freiheit? So zu sein wie die Weißen? ~ (S. 385)

 Ich begriff in diesem Moment, dass du in jedem Augenblick alles bist, was du in deinem
Leben bist, und dazu gehört auch, jemanden zu lieben. Aber wenn du nicht du selbst sein
kannst, wie kannst du dann jemanden lieben? Wie kannst du frei sein? ~ (S. 385) 



Der Autor
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© Chia Messina

 
James McBride - Autor, Musiker, Drehbuchschreiber, Journalist - wurde weltberühmt durch seinen autobiografischen Roman Die Farbe von Wasser. Das Buch gilt inzwischen als Klassiker in den Vereinigten Staaten, es stand zwei Jahre lang auf der New York Times Bestsellerliste. McBrides Debüt Das Wunder von St. Anna wurde vom amerikanischen Kultregisseur Spike Lee verfilmt. Für Das verrückte Tagebuch des Henry Shackleford erhielt McBride den renommierten National Book Award.
 







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Herzlichen Dank an vorablesen und btb für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars!

2 Kommentare:

  1. Das macht neugierig, ich hatte es zeitmäßig nicht geschafft, einen Leseeindruck abzugeben.
    Liebe Grüße
    Walli :-)

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    1. Wie schade! Das ist wirklich kein schlechtes Buch. :-)

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