Donnerstag, 22. Dezember 2016

[Rezension] Spinner | Benedict Wells


Seiten: 316
Verlag: Diogenes
Ersterscheinung: 21. Juli 2009
ISBN: 9783257243840
Format: Taschenbuch
Preis: [A] 12,40 €  |  [D] 12,00 €
Genre: Roman

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Mein Lesezeitraum: 12. - 21. Dezember 2016




Die Buchrückseite
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»Ich habe keine Angst vor der Zukunft, verstehen Sie? Ich hab nur ein kleines bisschen Angst vor der Gegenwart.«
Jesper Lier, 20, weiß nur noch eines: Er muss sein Leben ändern, und zwar radikal. Er erlebt eine turbulente Woche und eine wilde Odyssee durch Berlin.
Ein tragikomischer Roman über die Angst, wirklich die richtigen Entscheidungen zu treffen.


Der Erste Satz
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Ich habe diese eiskalten Hände.


Meine  Meinung
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In Selbstmitleid suhlend und notorisch lügend

In vorliegendem Roman geht es um den 20-jährigen Jesper Lier, der seit ungefähr zwei Jahren in einer Berliner Kellerwohnung haust. Wir erleben hierin eine Woche seines Lebens mit, die allerdings ganz und gar keine gewöhnliche ist, sondern eine, die sich "gewaschen" hat. Denn es passieren Dinge, also Jesper gerät in Situationen, die entweder sehr beschämend oder unfassbar, richtig traurig, gefährlich, aber irgendwie auch lustig sind. Ja, es passiert in meinen Augen sogar so viel in diesen sieben Tagen, dass es von den aufwühlenden Gefühlen her bestimmt auch für ein ganzes Jahr gereicht hätte.

Einer, der an seine Träume glaubt

Den Protagonisten Jesper Lier zu beschreiben, fällt mir ziemlich leicht, da der Autor ihm recht eigene Charakterzüge zugeschrieben hat. Erstens fällt mit zunehmender Seitenzahl auf, dass Jesper gerne und viel lügt. Schnell erkennt man auch, dass er ein von Wehmut geplagter Typ mit Komplexen ist, der eine große Portion Unsicherheit (Frauen gegenüber) mit sich herumschleppt. Jesper ist Einzelgänger und beschreibt sich selbst als langweilig und traurig. Er verabscheut Menschen, die mutlos sind, ihre Träume aufgegeben haben und nur mehr dem Geld hinterherjagen; Traum- und Phantasielosigkeit kann und will er nicht akzeptieren.

Alle hatten Angst vor Lücken in ihrem Lebenslauf. Aber niemand schien Angst davor zu haben, seine Träume zu verraten.
(S. 99)

Jespers Alltag und sein aktuelles Leben wirkten auf mich wirklich sehr deprimierend und negativ. Der Protagonist war auch recht gut darin, gewisse Dinge zu ignorieren und einfach wegzuschauen, wenn es um seine Gesundheit und seinen Körper ging, was ein deutliches Zeichen dafür ist, dass er sich selbst überhaupt nicht wichtig nimmt. Erhärtet wird das durch Situationen, in denen er deutlich sein Selbstmitleid und seinen Selbsthass ausspricht - nein, nicht nur ausspricht, sondern sogar ausschreit, so sehr, dass es sogar mir als Leserin weh getan hat.
Und obwohl er den (für mich absolut nachvollziehbaren und wundervollen) Traum hegt, als Autor sein Geld zu verdienen, und mit Der Leidensgenosse, an dem er gut zwei Jahre gearbeitet hat und von dem er vollkommen überzeugt ist, bereits etwas vorzuweisen hat, habe ich für den jungen Mann trotzdem kaum Sympathie aufbringen können. Denn ich empfand Jesper einfach nur als bemitleidenswertes armes Würstchen. Nein, nicht mal liebenswert fand ich ihn, auch nicht zum Ende hin ...

Wie so viele vor mir hatte ich versucht, in meinem Leben das zu tun, was ich mir am meisten wünschte, und wie so viele vor mir war ich damit gescheitert.
(S. 268)

Ich habe mich, besonders das erste Drittel, gefragt, was mir der Autor mit Jespers kläglichem Dasein eigentlich vermitteln will. Worum genau soll es in dieser Geschichte denn gehen? Worauf soll das Ganze hinauslaufen? Nun, Jespers Leben wird von Ängsten und Niederschlägen eingenommen und es kristallisiert sich nach und nach heraus, dass es um nachhaltige Lebensveränderungen gehen soll, die getroffen und angegangen werden müssen, denn ansonsten droht ihm der vollständige Bachhinuntergang seines Lebens ...
Ob und wie Jesper sein Leben endlich in die Hand nimmt, will ich an dieser Stelle nicht vorweg
nehmen, aber so viel sei gesagt: das, was in weiterer Folge passiert, hat mich auf alle Fälle wieder etwas versöhnlicher gestimmt, was die Hauptfigur betrifft. 

Doch es gibt Fehler, die notwendig sind. Manchmal muss man ein kleines bisschen sterben, um wieder ein wenig mehr zu leben.
(S. 314) 

Jespers Person umgibt soviel Negativität und immer wieder, in den unterschiedlichsten Situationen, hatte ich ein ganz unheilvolles Gefühl, dass ganz bald etwas Schlimmes passieren wird ... Es hängt fast über der gesamten Geschichte dieses Nachdenkliche, ein wenig Depressive und das hat das Buch für mich nicht gerade zum Highlight gemacht. Nichtsdestotrotz kommt der eine oder andere komische Auflockerungs-Satz ebenfalls vor, sodass das Lesen zu einer ziemlich erträglichen Angelegenheit geworden ist.


Persönliche Bewertung
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Weitere Buchzitate
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~ »Es ist immer besser, etwas zu bereuen, was man getan hat, als etwas, was man nicht getan hat ...« ~
(S. 234)

~ Alles ging so schnell vorbei, nie wusste man sein Glück zu schätzen, immer erst hinterher. Das Leben war 
nicht besonders einfallsreich. Es brachte immer den gleichen Trick, und trotzdem fiel jeder drauf rein. ~
(S. 288)

~ »Wieso all diese Schwindeleien, das hast du doch gar nicht nötig.«
»Wenn man einmal anfängt, dann kommt man nicht mehr davon los, es war wie eine Sucht.« ~ 
(S. 289)

~ Es ist der Fluch der Jugend, dass man glaubt, ständig zu leiden. Doch wenn diese Zeit vorbei 
ist, stellt man verwundert fest, dass man sie geliebt hat. Und dass sie nie mehr zurückkommt. ~ 
(S. 315)




Der Autor
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© Bogenberger

Benedict Wells wurde 1984 in München geboren. Im Alter von sechs Jahren begann seine Reise durch drei bayerische Internate. Nach dem Abitur 2003 zog er nach Berlin. Dort entschied er sich gegen ein Studium und widmete sich dem Schreiben. Seinen Lebensunterhalt bestritt er mit diversen Nebenjobs. Sein vielbeachtetes Debüt ›Becks letzter Sommer‹ erschien 2008, wurde mit dem Bayerischen Kunstförderpreis ausgezeichnet und 2015 fürs Kino verfilmt. Wie bereits sein dritter Roman ›Fast genial‹ steht auch sein soeben erschienener Roman ›Vom Ende der Einsamkeit‹ auf den Bestsellerlisten. Wells wurde dafür mit dem European Union Prize for Literature (EUPL) 2016 ausgezeichnet. Er lebt in Berlin. 








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4 Kommentare:

  1. "Jespers Alltag und sein aktuelles Leben wirkten auf mich wirklich sehr deprimierend und negativ. Der Protagonist war auch recht gut darin, gewisse Dinge zu ignorieren und einfach wegzuschauen, wenn es um seine Gesundheit und seinen Körper ging, was ein deutliches Zeichen dafür ist, dass er sich selbst überhaupt nicht wichtig nimmt. Erhärtet wird das durch Situationen, in denen er deutlich sein Selbstmitleid und seinen Selbsthass ausspricht - nein, nicht nur ausspricht, sondern sogar ausschreit, so sehr, dass es sogar mir als Leserin weh getan hat."

    Ja, so ähnlich habe ich Jesper auch wahrgenommen. Aber er war mir nicht fremd, wie ich dir vorhin über Chat mitgeteilt habe. Und genau dieses Schreien hat ihn psychisch befreit. Immerhin war er ein Mensch, der sich nicht in feste Bahnen hat stecken lassen, wie z.B. nach dem Abitur studieren oder eine Berufsausbildung, nein, er hat sich gesucht, sich gelebt, und sich gefunden, als diese Phase wieder vorbei war. Wer sich mit zwanzig Jahren diese Lebensweise nicht zutraut, wann dann? Deshalb war mir Jesper so sympathisch, weil er nicht so war wie andere. Aber dies habe ich in meiner Buchbesprechung alles schon erwähnt.

    Die Episoden mit seinen Freunden fand ich auch recht spannend, und wirklich schön, dass die drei trotz schwerer Konflikte nicht auseinandergebrochen sind. Ich fand das sehr schön. Wo findet man schon solche Freunde, die gemeinsam diese Krise aushalten?

    Ich wünsche dir frohe Festtage, liebe Janine.
    Gruß, Mirella

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    1. Fremd war mir Jesper auch nicht, ich habe ihn nur nicht gerade als jemanden wahrgenommen, mit dem man gerne seine Zeit verbringt - das wollte ich damit rüberbringen.
      Ich glaube gerne, dass es befreiend wirkt, wenn man all seinen Schmerz und Ähnliches hinausbrüllt, aber wenn man sich im Spiegel ansieht und sich selbst ins Gesicht schreit, dass man sich hasst ... da bezweifle ich, ehrlich gesagt, stark, dass das besonders befreiend ist. Das zieht einen doch nur noch mehr runter und man fängt an, das tief ins sich zu glauben, dass man nichts wert ist und ein Versager ist. Oder denkst du nicht?

      Jesper hat da wirklich zwei sehr tolle und geduldige Freunde gehabt, da muss ich dir zustimmen. Wenn man sich das erlaubt hat, was Jesper ihnen an den Kopf geworfen hat, dann ist ein Verzeihen danach eine ganz starke Sache. Und das ist bewundernswert von den beiden gewesen.

      Alles Liebe dir,
      Janine

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  2. Hallo Janine,

    vielen Dank für diese tolle Rezension!
    Das Buch wandert sofort auf meine Wunschliste und wird dort bestimmt nicht lange bleiben :)

    Liebe Grüße,
    Corina

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    1. Bitteschön, das freut mich, dass sie dir gefällt, liebe Corina! :)
      Alles Liebe dir ♥,
      Janine

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